Ein Telefonat mit einer
Freundin hat mich wieder darauf gebracht. Wir sprachen über Wartezeiten für
Therapieplätze bei psychischen Erkrankungen. Immer mehr Menschen, so scheint
es, werden heutzutage seelisch krank. Oder waren es früher auch so viele, aber
damals wurde es nicht als Krankheit anerkannt, sondern als Zustand abgetan? Wie
dem auch sei, die flächendeckende Versorgung psychisch Kranker ist heute immer noch nicht so gegeben wie die physisch Kranker. Mehr Kliniken würden also
Besserung verschaffen.
Aber mir geht noch etwas
anderes durch den Kopf. Dass immer mehr Menschenseelen leiden, sollte der
Gesellschaft – also uns – zu denken geben. Was ist die Ursache für all die
Depressionen, Burn Outs, Zwangsstörungen, Ängste und Süchte? Liegt ein Grund in
einem verrückten Menschenbild unserer schnelllebigen und rationalisierten
Gesellschaft? Welchen Wert hat der Mensch?
Für meine Krankenkasse bin
ich eine Mitgliedsnummer. Ich bin aber auch eine Kontonummer, Steuernummer,
Personalnummer, Versicherungsnummer, Kundennummer, Teilnehmernummer usw. Wo ich
noch keine Nummer bin, kann ich vorübergehend eine ziehen. Das macht alles
einfacher, schneller, leichter. Irgendeine Personalnummer lässt sich einfacher
kündigen als ein Mensch mit seiner ganzen Lebensgeschichte. Der Antrag einer Sozialversicherungsnummer auf eine Kur
ist schnell abgelehnt. Wie leicht geht
der einzelne Mensch und mit ihm seine Würde hinter einem Aktenzeichen verloren?
Der Begriff
Nummerngirl bekommt eine ganz neue Bedeutung. Doch genau das möchte ich nicht sein. Wo
Menschen zu Nummern degradiert werden, da ist das System krank. Heilen kann das
keine Klinik, sondern nur das System selbst, die Gesellschaft – also wir. Ich will auf der Hut sein, andere zu reduzieren oder mich reduzieren zu lassen.
Was für ein Reichtum und welche Fülle an Leben, um die wir uns im Miteinander betrügen würden!
Was für ein Reichtum und welche Fülle an Leben, um die wir uns im Miteinander betrügen würden!