Dienstag, 18. September 2012

Relikt


Wenn ich beim Spülen aus dem Fenster sehe, fällt mein Blick auf diese Leiter. Sie hängt quer unterhalb der Dachrinne des Nachbarhäuschens – ein Überbleibsel aus früheren Tagen. Das kleine Anwesen war einmal ein Bauernhof mit Stall, Heuboden und Scheune. Um die Leiter heute von ihren Haken zu nehmen, müsste man auf eine zweite Leiter steigen, besser wäre noch eine dritte mit einem weiteren Helfer, der am anderen Ende der alten Leiter anpackt. Vielleicht kam man damals auf einem Pferdewagen oder Traktoranhänger stehend an die Leiter heran, um sie dann als Aufstieg zum Heuboden zu benutzen. Vielleicht war es auch ganz anders und sie wurde erst, als man sie nicht mehr brauchte, einfach dort an der Hauswand entsorgt. Vielleicht stimmt auch das nicht oder aber beides ist wahr. Und wer weiß, ob es nicht die ein oder andere Geschichte zu dieser Leiter gibt? Eine Rettungsaktion für eine Katze in Not? Oder – wären wir in Süddeutschland, wäre das mehr als wahrscheinlich – ein romantisches Abenteuer in einer lauen Vollmondnacht?

Jedenfalls regt sie meine Phantasie an und entlockt mir ein Lächeln, diese alte, seit Jahrzehnten unbeachtete Leiter da oben an der Mauer. Natürlich könnte ich die Besitzer fragen, was es wirklich mit ihr auf sich hat. Aber das wäre nicht halb so interessant und zauberhaft.

Immer um die Mittagszeit, wenn die Wolken sie durchlassen, malt die Sonne eine Schattenleiter dazu – ein für gewöhnlich unbemerktes Schauspiel. Dieses Mal finde ich es besonders schön und mache ein Foto.