Sonntag, 24. November 2013

Das Monster


Vor drei Wochen hat es mich aufgesucht im Kleid der Angst. Und sofort kamen die Bilder zurück in meinen Kopf. Bilder und Ereignisse, die vierzehn Jahre zurückliegen und die sich – von meinem Monster angestachelt – ganz von selbst ins Jetzt übersetzt haben. Was, wenn tatsächlich? Wieder OP und wieder Therapien? Wie wird das funktionieren? Damals konnte ich einfach ein "Urlaubssemester" wegen Krankheit einlegen. Heute habe ich eine Vollzeitstelle. Aber vielleicht ist alles doch harmlos.
Der Angstmonsterstachel steckte und grub sich immer weiter in meine Gedanken. Und so wurde dieses Mal die Zeit vom Tastbefund bis zum Arzttermin zum Zitterspiel, ungewohnt nach Jahren, in denen Nach- und Vorsorgeuntersuchungen doch eigentlich zu Routine geworden sind. Dann Aufatmen, Freude und Erleichterung, alles nur Wasser, nur eine Riesenzyste!

Das Monster – in Gestalt von Angst und Zyste – hat mich eines erkennen lassen: Damals wie heute gingen meine Bilder und Gedanken weiter lebenwärts. Der Tod war keine Option. Irgendetwas trägt mich, ein tiefes Gottvertrauen in mir, das mich in die Zukunft begleitet. Bin ich eine hoffnungslose Optimistin? Besser klingt: ein hoffnungsvoller und reich beschenkter Mensch.
Bis Weihnachten ist es noch eine Weile hin, aber ich habe jetzt schon meine Geschenke bekommen: Menschen, denen ich mich anvertraue, die mit mir zittern, die ihre Reise für mich unterbrechen und die gerade dann ihren Humor mit mir teilen, indem wir über kommende Filmbestseller wie "Die Wanderzyste" als Historiendrama oder Horrorstreifen spinnen. Mein Patenbaby, das mich anstrahlt und mir zeigt, wie er aufstehen lernt und die Welt entdeckt. Mein Patenneffe, der mit seinen drei Jahren Dinge, die er beobachtet, ganz wunderbar in seine Spielwelt einbezieht und mit einem neu kreierten Bonmot uns Erwachsenen ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Und mein großer Neffe, der als Vorschulkind alles wissbegierig in sich aufsaugt und mir durch die Haare zaust, während wir über neue Fragen diskutieren. Oder einfach nur das Wolkenspiel am blauen Himmel an einem kalten klaren Novembermorgen – wie gut, dass die Bahn so voll war und ich mich für den Fußmarsch entschieden habe.

In diesen Momenten verliert das Monster sein Monströses, denn das Leben ist so viel größer, als ein Monster es sich jemals vorstellen könnte!