Vortrag mit Diskussion zur Synode im Bistum Trier 2013-16:
Vor dem Abschluss – Stimmungen, Chancen und Herausforderungen
Franziskus, Sohn eines
reichen Tuchhändlers aus Assisi, ein junger Lebemann, zog vom ruhmvollen
Rittertum träumend in den Krieg gegen Perugia. Was er im Kampf und der
anschließenden Gefangenschaft erlebt hat, hat ihn in eine schwere Sinn- und
Lebenskrise gestürzt. Seelisch tief erschüttert zog er um 1206 durch das Umland
seiner Heimatstadt und kam zur kleinen Kirche San Damiano. Es zog ihn in dieses
halb verfallene Haus und er betete dort vor dem Kreuz. An diesem Ort, in dieser
Lebenssituation hörte Franziskus eine Stimme, die ihm sagte: ʺGeh hin und stell
mein Haus wieder her!ʺ Und er begann, Steine zu sammeln und Mauern und Dach zu
sanieren. Erst später begriff Franziskus, dass der Auftrag Christi an ihn,
nicht diese kleine verfallene Kirche vor den Toren Assisis umfasste, sondern
die Kirche als Lebens- und Glaubensgemeinschaft der Christen, die sich damals
in einer Krise befand.
Wie zur Zeit des heiligen
Franz ist das Wort von der ʺKirche in der Kriseʺ auch jetzt seit
Jahren in aller Munde. Es ist wohl kein Zufall, dass unter dem Papst, der sich
nach dem Heiligen aus Assisi benannt hat, sowohl die Familiensynode in Rom
stattgefunden hat, als auch der Bischof von Trier sich für die Zukunft seiner
Ortskirche Rat im Rahmen einer Synode sucht.
Das Bild der Haussanierung
scheint ein ganz gutes, um zu veranschaulichen, wie die Bistumssynode die
Kirche von Trier für die Zukunft aufstellen will – sozusagen sanieren, also im
ursprünglichen Wortsinn gesund machen, heilen will. Folgende Parallelen lassen
sich zwischen der Sanierung eines alten Hauses und der Erneuerung der Kirche
ziehen:
Es muss erkennbar
bleiben, was es war und ist.
Wie aus einem Fachwerkbauernhaus
kein Betonturm werden sollte, muss die Kirche als Gemeinschaft von Christinnen
und Christen, als Kirche Jesu Christi erkennbar bleiben.
Es gibt Grundsätze und
Regeln,
die grundlegend gelten und geltend bleiben.
die grundlegend gelten und geltend bleiben.
Für die Haussanierung sind Bauvorschriften, Denkmalschutzbestimmungen oder Statikregeln maßgeblich. Die Kirche baut auf
das Evangelium Jesu Christi und ihre Lehre, das Glaubensbekenntnis,
die biblischen Schriften und rechtliche Normen.
Ressourcen werden
benötigt.
Eine Haussanierung
geht nicht ohne Baumaterialien wie Originalhölzer oder Natursteine, nicht ohne
besondere Handwerkstechniken, Werkzeuge, Geräte und natürlich Geldmittel. Die
Kirche wird erst lebendig mit den Menschen und ihrem Glauben, ihrer Frömmigkeit
und ihren Charismen. Dazu sind Strukturen nötig, die es allen ermöglichen, sich beim Aufbau des Reiches Gottes einzubringen.
Vergangenheit muss mit
der Gegenwart verknüpft werden,
um Zukunft zu ermöglichen.
um Zukunft zu ermöglichen.
Damit sie erhalten und
weiterhin genutzt werden können, baut man in alte Häuser heute fortschrittliche
Haustechnik ein wie Elektrik, Heizung oder ein modernes Bad. Und die Kirche tut
gut daran, die Zeichen der Zeit, die gegenwärtigen Lebenssituationen und -bezüge der
Menschen zu erkennen, zu verstehen und einzubeziehen, wenn sie die Menschen noch erreichen will.
Wir können und oft wollen
wir heute nicht mehr so leben, wie noch vor hundert oder zweihundert Jahren.
Die Welt hat sich rasant verändert durch Erfindungen, technische und
wissenschaftliche Errungenschaften. Um Zukunft zu haben und nicht in der
Vergangenheit stehen zu bleiben, müssen wir darauf reagieren und in vielen
Bereichen tun wir das ganz selbstverständlich, zum Beispiel auf dem
Arbeitsmarkt: Viele ziehen für eine Arbeitsstelle um oder stimmen flexiblen Arbeitszeiten
zu.
Was die Modernisierung in
der Kirche so schwierig macht, sind Emotionen: Glaube hat zutiefst mit unseren
Gefühlen, mit Beheimatung, mit Herz und Seele zu tun. Vertrautes aufgeben,
Gewohntes verabschieden bereitet Angst, zumindest Sorge. Neuland betreten ist
mit Risiko verbunden. Aber Leben bedeutet nicht nur physisch Wachstum und
Veränderung, Verweigerung führt nur zu oft zu Stillstand, gar zum Tod. Wenn wir
lebendige Kirche sein und bleiben wollen, müssen wir uns weiterentwickeln, als
Einzelne und als Gemeinschaft. Das Schöne ist: Eigentlich müssen wir keine
Angst haben, denn eines bleibt: Jesus Christus und seine Botschaft. Im Glauben
machen wir uns fest in Gott. In Gott sind wir getragen. Das gibt Halt und
Kraft, mutig Veränderung zu wagen.
Genau das sind die
Stimmungen, die in der Synode spürbar sind: Angst, Sorge, Mut, Zuversicht und
Hoffnung auf Einen, der größer ist, als wir denken können.
Einmal sagt Jesus, dass
nicht ein Jota, nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen wird (Mt
5,18). Aber Jesus stellt Mensch und Gesetz neu in Relation zueinander, wenn
seine Jünger Ähren abreißen am Sabbat oder er am Sabbat Menschen heilt (Mt 12):
Erst der Mensch, dann das
Gesetz – nicht umgekehrt!
Die Pharisäer, von denen die
Gleichnisse berichten, haben sich an Gesetzen, an Strukturen und Gewohnheiten
festgemacht – und das sicher Gott zur Ehre. Aber es sind Äußerlichkeiten, denen
sie den Vorrang geben. Doch die für sich sind vergänglich und können kein Leben
schaffen oder erhalten. Dazu sagt Jesus: Kehrt um! Macht euch am Ewigen fest,
an der Liebe, an Beziehung, am Lebendigen.
Jesus lehrt uns einen
existentiellen Perspektivwechsel: die Hinwendung zum Menschen, zum Nächsten als
Fundament für das Reich Gottes.
In einem langen Prozess, in
vielen Gesprächen und kontroversen Diskussionen haben die Synodalen – Priester
und Laien, Männer und Frauen – in zehn Sachkommissionen über hundert
Empfehlungen an den Bischof von Trier erarbeitet. Diese wurden zur sechsten Vollversammlung im vergangenen Dezember sortiert und
kategorisiert. Dabei hat sich gezeigt, dass einige Empfehlungen
Perspektivwechsel formulieren. Es werden Haltungen und eine neue
Kirchenkultur empfohlen. Und viele Empfehlungen beinhalten konkrete und wichtige
Maßnahmen und schließlich auch Instrumente, wie Erneuerung umgesetzt werden
kann. Der Vorschlag zur Gliederung und Einordnung der Empfehlungen wurde
diskutiert, an manchen Stellen geändert und abgestimmt. Im Dezember hat die
Synode über vier Perspektivwechsel mit großer Zustimmung entschieden:
Vom Einzelnen her denken!
Wir schauen noch sehr mit
dem binnenkirchlichen Blick, vom Standpunkt der Institution auf die Menschen,
die uns begegnen. Der Perspektivwechsel formuliert eine Hinwendung zum Menschen, beschreibt eine Kirche, die vom Standpunkt des Einzelnen verstehen will, wie
Menschen heute leben, denken und fühlen, wovon sie träumen und was sie brauchen. Von hier aus können
wir als Kirche solidarisch handeln in der Nachfolge Jesu und seiner Botschaft.
Also: erst der Mensch,
dann das Gesetz – oder die Institution.
Sich dem Einzelnen auf ganz
neue Weise zuzuwenden, bedeutet nicht eine Hinkehr zum Individualismus oder
eine Abkehr von der Gemeinschaft. Als Menschen sind wir angewiesen auf
Gemeinschaft, Gemeinschaft mit Gott und untereinander. Und dafür brauchen wir
jeden Einzelnen mit allen Stärken und Schwächen, mit all der Vielfalt an
Lebenswirklichkeiten.
Charismen vor Aufgaben in
den Blick nehmen!
Wir schauen sehr oft zuerst
auf das, was getan werden muss, und suchen zuerst nur im inneren Kreis nach
Menschen, die die Aufgaben übernehmen können, und versperren uns manches Mal die
Sicht auf Menschen außerhalb des Kreises. Durch den Perspektivwechsel kann jeder Mensch mit den ihm von Gott
geschenkten Gnadengaben, Charismen wahrgenommen, wertgeschätzt und eingebunden
werden am Aufbau des Reiches Gottes.
Und wiederum: erst der
Mensch, dann das Gesetz – sprich die Aufgaben.
Ausdrücklich ist nicht eine
Kirche ohne Aufgaben gemeint, denn dann haben wir die Sendung Jesu Christi
nicht verstanden. Wir haben Aufgaben als Kirche, als Christen und diese
erfüllen wir am besten, wenn wir unseren Charismen Raum geben, sich zu entfalten.
Sie sind ein Geschenk, eine Stärkung durch den Hl. Geist. Sie zu entdecken, zu
fördern und einzubringen ist gleichsam ein Lobpreis Gottes.
Weite pastorale Räume
einrichten und
netzwerkartige Kooperationsformen verankern!
netzwerkartige Kooperationsformen verankern!
In der Vergangenheit bis
heute ist unser Bistum gegliedert in viele kleine Pfarreinheiten, die schon in
den letzten Jahrzehnten immer wieder zusammengelegt und vergrößert wurden.
Pfarrei ist zunächst ein Verwaltungsbegriff aus dem Kirchenrecht und definiert
eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen. Das, was wir mit diesem Begriff
darüber hinaus verbinden, ist ein vertrauter Bereich, wo wir im Glauben
Beheimatung gefunden haben, wo Verbände und Gemeinschaft(en) an der Basis uns
tragen und wo wir – wie man in dieser Gegend sagt – ʺGehöchnisʺ erleben. Wenn aufgrund des Perspektivwechsels nun diese Verwaltungseinheit Pfarrei zukünftig
territorial erheblich erweitert werden soll, dann heißt das nicht, dass die
vertraute Basis mit all ihren Aktivitäten wegbrechen wird. Sie wird nur anders
gestaltet. Es ist gleichzeitig Herausforderung und Chance, dass wir alle dabei
mitwirken können. Vor Ort eröffnen sich neue Gestaltungsfreiräume, in denen
Christinnen und Christen Gemeinde neu oder in bereits bewährter Weise bilden
und (be)leben. Viele können, sollen und dürfen ihre Charismen und
Fähigkeiten einbringen.
Im konkreten Handeln laufen
die Perspektivwechsel zusammen. Wenden wir uns mit einer fragenden Offenheit
statt mit einer fordernden Erwartungshaltung dem Einzelnen zu und lernen wir
seine von Gott geschenkten Gaben zu sehen und zu schätzen. Mit Gottvertrauen
und der Stärke des Hl. Geistes werden wir Mitarbeiter einer lebendige Kirche
Jesu Christi finden.
Das synodale Prinzip soll
zukünftig
die Kirche im Bistum Trier auf allen Ebenen prägen.
die Kirche im Bistum Trier auf allen Ebenen prägen.
Aus dem
Bedürfnis, die positiven Erfahrungen der Synode auch künftig im Bistum Trier in
einer neuen Qualität von Kommunikation und Entscheidungsfindung weiterzutragen
und zu verankern, ergänzt das synodale Prinzip die Perspektivwechsel. Auf allen
Ebenen sollen Haupt- und Ehrenamtliche, Laien und Priester im Diskurs
miteinander regelmäßig den gegenwärtigen Zustand prüfen und Zukunftsvisionen
beraten und entwickeln.
Eine Chance
der beschlossenen Perspektivwechsel liegt in der Ermunterung, den gewohnten
Trott zu unterbrechen, zu reflektieren, Menschen, Dinge und Situationen neu zu
betrachten, Standpunkte zu verändern, neue Wege zu entdecken und
auszuprobieren.
Eine große
Herausforderung wird sein, Gewohntes und Liebgewonnenes, das von der Zeit
überholt wurde und nicht mehr hilfreich oder not-wendig ist, wertschätzend und
würdig zu verabschieden und loszulassen und mutig neue Schritte zu wagen.
Zur
Verwirklichung der Perspektivwechsel ist es nötig, unsere Haltungen und die
Kultur im Bistum anzusehen und zu erneuern. Das allerdings muss wachsen aus
einer Überzeugung, einem offenen Herzen, offenen Ohren und Augen. Das ist ein
Lernprozess, der sich niederschlägt in unserem Handeln in Kirche, in
Gesellschaft und in Familie in all ihrer Vielfalt. Merkmale und Stichworte sind beispielsweise die gemeinsame Würde der Getauften, die Option für die Armen, interkonfessionelle und -religiöse Dialoge, ein gerechter Umgang der Geschlechter, Inklusion oder die Stärkung von Kindern und Jugendlichen. Wir müssen uns fragen und
anfragen lassen, wie wir miteinander und mit den Realitäten unserer Zeit umgehen
und wie unser Denken und Handeln als Zeugen des Evangeliums erkennbar ist.
Für die Phase der Umsetzung
der Synodenergebnisse, das Erarbeiten und Konkretisieren von Konzepten und
Maßnahmen, das Einrichten von Projekten und das gemeinsame Lernen und Üben
neuer Sichtweisen und Haltungen – also für die Baustelle Kirche möge das Gebet des
heiligen Franz von Assisi vor dem Kreuz von San Damiano uns Kraft geben.
Höchster, glorreicher Gott,
erleuchte die Finsternis meines Herzens.
Und gib mir rechten Glauben,
gefestigte Hoffnung und vollkommene Liebe,
Gespür und Erkenntnis, Herr,
damit ich erfülle
Deinen heiligen und wahrhaften Auftrag.
Altissimo, glorioso Dio,
illumina le tenebre de lo core mio.
E
damme fede dritta,
speranza certa e caritade perfetta,
senno
e cognoscemento, Signore,
che faccia lo tuo santo e
verace comandamento.